Mein Album 2016
Leute, die wie ich in den 80er Jahren groß geworden sind, können mit dem Begriff „Album“ noch etwas anfangen. Als unsere Heroen etwas Neues herausbrachten, gab es zunächst eine Single, später dann ein Album, von dem wir es kaum erwarten konnten, es in den Händen zu halten, bzw. es auf den Plattenteller zulegen.
Leider sind diese „Alben“ heutzutage aus der Mode gekommen und den Playlisten auf Spotify und Apple Music gewichen. Jeder kann so seine Lieblingssongs aneinanderreihen. Ein Argument dafür ist sicherlich der technische Fortschritt, nicht weniger jedoch die Tatsache, dass kaum jemand noch richtige „Alben“ produziert.
Eines davon entdeckte ich Mitte des Jahres 2016 mehr oder minder zufällig auf Bandcamp, einer Seite, auf der jeder seine Musik feilbieten kann. Das Album heißt „Atlas“ und stammt von FM-84 und ist der Kategorie „Retrowave“ zuzuordnen.
Das hörte sich schon mal vielversprechend an, da ich sowohl 80er Synth-Pop und die Sonne Kaliforniens mag.
Auf dem Album befinden sich sowohl Instrumentalstücke als auch Songs mit Gesang von unterschiedlichen Sängern, u.a. Clive Farrington von der 80er Jahre Band „When In Rome“.
Schon die ersten Takte des Eröffnungsstückes „Everything“ machen klar, wohin die Reise geht. Knallige Drums mit viel „Gated Reverb“, wie ihn Phil Collins bei „In The Air Tonight“ das erste mal nutzte. Sein Ingenieur Hugh Padgham erfand diesen mehr oder weniger zufällig bei den Aufnahmen des Stückes im Londoner Townhouse Studio, guckst hier.
Nach wenigen Takten findet man sich auf einer imaginären Reise über die Boulevards von Los Angeles bis an die Strände von Santa Monica, an denen man dann einen standesgemäßen Sonnenuntergang genießt.
Die Qualität der Stücke ist gleichbleibend konstant, man erkennt keine Ausreißer oder Lückenfüller. Ein Highlight ist zweifelsohne der Song „Running In The Night“, auf dem der britische Sänger Ollie Wride aus Brighton den Gesang beisteuert. Das Stück ist absolut charttauglich und wäre das zweifelsohne auf 30 Jahre vorher gewesen, was für die Qualität des Sängers und des Stückes spricht.
Das zweite Highlight für mich ist der letzte Song des Albums, „Goodbye“, bei dem der o.g. Clive Farrington den Gesang beisteuert. Würde man eine Zeitreise zurück in der 80er Jahre machen, würde dieser Song in Filmen wie „Top Gun“ oder „Footloose“ zuweilen eine bessere Figur machen, als das damalige Material.
Nach 11 Titeln und rund 47 Minuten ist dieses wunderschöne Album leider zu Ende.
Was bleibt, ist das beruhigende Wissen, dass es noch Musiker gibt, die wissen, wie man ein gutes Album produziert, das man von vorne bis hinten in einem Stück durchhören kann, das trotz der unterschiedlichen Gastmusiker wie aus einem Guss wirkt und das absolut professionell klingt. Col Bennet, der hinter FM-84 steckt, ist Schotte, den es nach Kalifornien verschlagen hat und dieses Album mit Ableton Live und diversen Softwareinstrumenten am Rechner erstellt hat. Das ist der Lauf der Zeit, doch ist hier die Stimmung und Atmosphäre der 80er Jahre perfekt eingefangen worden. „Atlas“ sieht manche Produktionen, die unter der Prämisse „Wir machen jetzt mal was mit Retro-Equipment, dann klingt es nostalgisch“ nichtmals im Rückspiegel, so weit vorne ist es.
Beide Daumen für meinen Favorit aus 2016.
Hier noch das offizielle Video zu „Running In The Night“ – danach möchte man eigentlich nur im stilechten DeLorean den Mulholland Drive zum Strand nach Santa Monica fahren.
Entdecke mehr von Casual Conversations
Subscribe to get the latest posts sent to your email.