Enkelkind
Wer jetzt auf niedliche Bilder von süßen Enkelkindern wartet, der wird enttäuscht werden, obwohl ich mittlerweile in einer Altersklasse bin, wo dieses Thema nicht so ganz abwegig wäre. Was soll hier jetzt also über Enkelkinder stehen?
Es sind nicht die eigenen Enkelkinder gemeint, sondern die „Kriegsenkel“. Wir alle kennen „Kriegskinder“ – das ist die Generation unserer Eltern, also den Menschen, die in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren worden. Die „Kriegsenkel“ – das ist die Generation, die folgte, also in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren wurden. Dazu zähle auch ich.
Auf dieses Thema bin ich durch ein Buch von Sabine Bode gestossen. Der Titel lautet „Kriegsenkel – Die Erben der vergessenen Generation“.
Ich habe es eher beiläufig in einer Buchhandlung gefunden, als ich auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für einen Freund war (der das Buch dann auch geschenkt bekommen hat).
Wir alle aus der oben genannten Generation aus den Jahren 1960 bis 1970 kennen die Worte unserer Eltern: „Ihr sollt es einmal besser haben!“, „Du hast so viel mehr als wir damals.“, „Wir meinten es doch nur gut.“ , „Sei nicht so undankbar.“
Dabei ist jedoch einiges schief gelaufen. Meine Generation ist halb in der sichtbaren Welt des materiellen Wohlstandes und halb in der Welt der verschwiegenen Nöte aufgewachsen.
Über den zweiten Weltkrieg haben wir unser Wissen nur aus Erzählungen von Eltern und Großeltern. Die meisten Eltern oder Großeltern redeten nicht gerne über diese Zeit, um das Erlebte zu verdrängen oder wegzusperren. Doch auch wenn in vielen Familien über das Erlebte kaum gesprochen wurde, ist es nicht verschwunden.
Erst seit einigen Jahren gibt es ein Bewusstsein dafür, dass sich die Traumata der Eltern und Großeltern in den Nachkriegsgenerationen fortsetzen und verschiedenste Symptome produzieren können.
Ich habe dieses Buch verschlungen; die 304 Seiten hatte ich innerhalb einer Woche hinter mich gebracht. Ich denke, jeder aus meiner Generation wird sich darin in irgendeiner Form wiederfinden.
Meine Generation ist in einer Zeit aufgewachsen, in der es materiell im Grunde an nichts gefehlt hat und wir in Sicherheit leben konnten. Wir konnten uns satt essen, wir hatten genug Spielzeug, wir hatten die sagenhafte Auswahl an drei Fernsehprogrammen, wir konnten sagen, was wir denken.
Auch brauchten wir keine Angst zu haben, dass unsere Eltern von irgendwelchen Schlapphüten in Ledermänteln abgeholt wurden, noch hatten wir keine Angst, dass unsere Väter unvermittelt in den Krieg ziehen müssen und dass uns die Dächer weggebombt wurden. Und hätte zu der Zeit irgend jemand auf den Knopf gedrückt, dann wären einstürzende Dächer das kleinste Problem gewesen.
In vielen Passagen aus dem Buch, in dem eine Vielzahl von Menschen meiner Generation über ihre Kindheit berichten, habe ich mich selbst erstaunt wiedergefunden. Es kamen Dinge zu Tage, über die ich nie besondere Gedanken verschwendet habe.
Als ich zu schreiben begann, tat ich das mit der linken Hand!
Meinen Eltern mißfiel das aus mir nicht erklärlichen Gründen. Ich konnte doch bereits einige Worte schreiben (und Kreuzworträtsel lösen!), dennoch musste ich lernen, mit der rechten Hand zu schreiben. Das hat mich einige Mühe gekostet, mehr jedoch hat es in mir das Gefühl aufkommen lassen, das etwas mit mir falsch ist!
Mich hat Politik und Geschichte schon sehr früh interessiert, ich war neugierig und wollte alles wissen.
Über die Zeit des Krieges erfuhr ich fast ausschließlich von meinem Vater. Er hat es mir seine Jugend im dritten Reich sehr bildlich nahegebracht, ich konnte mir viel von dem Leben damals vorstellen. Ich wußte Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre sogar, wer damals in meiner Heimatstadt die größten Nazis waren (obwohl es die ja eigentlich gar nicht gab).
Von meiner Mutter, die eine Flucht aus Schlesien über Sachsen und Thüringen bis nach Berlin hinter sich hatte, erfuhr ich leider so gut wie gar nichts. Ich erfuhr sogar recht beiläufig, dass sie einen Bruder hatte, der kurz vor Ende des Krieges an Trisomie-21 verstorben ist. Es gibt leider nur ein einziges Foto, auf dem er zu sehen ist. Ich hätte sehr gerne mehr über ihn erfahren, aber es wurde nie darüber geredet. Es war schließlich mein Onkel, auch wenn ich ihn nie gekannt habe …
In den 70er Jahren wurde die Bundesrepublik durch die RAF terrorisiert. Es herrschte eine seltsame Stimmung der Angst im ganzen Land, die immer spürbar war. Mir wurde nur beigebracht, dass man sich „in Acht nehmen“ soll …
Wovor? Warum hätte Andreas Baader oder Ulrike Meinhof aus Stammheim ausbrechen sollen und ausgerechnet in unserer Wohnung aufkreuzen sollen? Was hätten sie dort wollen können? Ich verstand damals den ganzen Almauftrieb nicht, der da veranstaltet wurde. Es ging sogar soweit, dass Nachbarn von uns, die vom Aussehen heute einfach nur „Ökos“ wären, argwöhnisch beobachtet wurden, da sie lange Haare und Bärte trugen (und bestimmt nichtmals die SPD gewählt hätten).
Warum das alles so war, wie es war habe ich mir selbst in Büchern angeeignet.
Was ist in meinem Geburtsjahr in Berlin passiert, warum waren die alle so böse auf den Schah von Persien mit seiner wundeschönen Gattin? Wer war Benno Ohnesorg? Warum wurde er umgerbacht? Ebenso Rudi Dutschke?
Es gab einfach keine Antworten!
Alles das hatte seine Ursachen im zweiten Weltkrieg und der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit. Es ging allen besser, man „war wieder wer“ und lud auf der anderen Seite Despoten in die Berliner Oper ein, prügelte Menschen nieder, die dagegen demonstrierten und nahm kritiklos die Entlaubung von Vietnam durch unsere amerikanischen Freunde hin.
Selbst in der Schule war das alles kein Thema, geschweige denn, dass ich mit meinen Eltern oder Verwandten, also der Familie darüber reden konnte. Ich wollte einfach nur wissen, warum das so war, ich wollte es verstehen.
„Kriegsenkel“ von Sabine Bode hat mir geholfen, es letztendlich, mit über 50 Jahren doch etwas zu verstehen.
Es liegt schlicht und ergreifend an der Generation unserer Eltern, die im Krieg schreckliches erlebt haben und es zu großen Teilen irgendwo tief im Inneren vergraben haben. Es sollte auch nie mehr ans Tageslicht kommen. Ängste und Sorgen werden so natürlich nicht verarbeitet und kommen auch nie ans Tageslicht.
Diese unterschwelligen Nöte, Sorgen und Ängste haben sich auf meiner Generation übertragen. Es zeigt sich in unterschiedlichen Symptomen.
Ich bin vor 4 Jahren selbst an „Burn-Out“, oder besser gesagt an Depressionen erkrankt. Ich fühlte nicht überfordert und manchen Situationen nicht gewachsen. In den „landläufigen“ Therapien lernt man dann, dass man sich abgrenzen soll und auf sich achten soll. Das geht nur zu einem gewissen Grad.
Nach der Lektüre des Buches bin ich der festen Überzeugung, dass ich Ursachen meiner damaligen Krankheit unter anderem auch aus meiner Kindheit herrühren. Nicht auffallen, vorsichtig sein, nicht anecken, nicht alles hinterfragen. Letzter fiel mir mit meiner angeborenen Neugier besonders schwer!
All dessen muss man sich bewusst werden. Vor allem muss man sich bewußt sein, das man nicht falsch ist!
Wir müssen schauen, dass wir mit diesem Erbe leben können.
Entdecke mehr von Casual Conversations
Subscribe to get the latest posts sent to your email.