Radfahren im Rheinland

Der Radverkehr boomt – nicht erst seit der Corona-Pandemie steigen immer mehr Menschen auf das Fahrrad um. Klimaschutz, Gesundheitsaspekte und die Entlastung des Verkehrs machen das Radfahren auch in Städten zunehmend attraktiv. Doch wie steht es um die Radinfrastruktur in den Kreisen Neuss und Viersen und in den Städten wie Neuss, Krefeld und Düsseldorf? Ist das Fahrrad ein alternatives Fortbewegungsmittel und kann ich hier auch meine Freizeit damit gestalten?
Vor knapp 8 Jahren im Mai musste mein Mac-Book zum Apple-Store nach Düsseldorf, da die Batterie getauscht werden musste. Die Reparatur war schneller fertig als erwartet – an einem Samstag Nachmittag meldete sich ein Mitarbeiter des Apple-Stores und teilte mir mit, dass mein Gerät abholbereit sei. Da an diesem Tag wunderschönes Frühlingswetter herrschte, beschlossen wir, mit dem Fahrrad nach Düsseldorf zu fahren. Da ich mich bis dorthin (Apple-Store am Kö-Bogen) ganz gut auskenne, war das im im Grunde kein hoffnungsloses Unterfangen. Wir fuhren von Willich aus über die Felder bis Meerbusch-Büderich und von dort über Radwege nach Düsseldorf-Heerdt. Eine ordentliche Beschilderung vermissten wir bereits am Ortseingang Düsseldorf. In Düsseldorf-Heerdt selbst hat sich die Stadtverwaltung wohl gedacht, wenn wir keine Radwegschilder aufstellen, können wir auf Radwege gleich ganz verzichten. In Oberkassel bis über die Rheinbrücke hat man sich dann doch eines Besseren besonnen gefühlt. Von der Altstadt bis zum Kö-Bogen besann man sich seitens der Stadtverwaltung wieder auf die gewohnte Tugend, gleich wieder auf beides zu verzichten. Wer den Verkehr, insbesondere an einem Samstag Nachmittag kennt, sollte also seine Verlustängste im Griff haben.
Inzwischen sind einige Jahre ins Land gegangen und gefühlt jeder hat mittlerweile ein E-Bike; umweltbewusste Eltern kreiolen unterdessen ihre ganze Mischpoke in Lastenrädern durch die Gegend. So weit, so gut – aber wie sieht es bei der Infrastruktur aus? Komme ich schnell von A nach B und/oder kann ich mein Rad auch nutzen, um mich gar zu erholen und die Natur zu entdecken, die entgegen der landläufigen Meinung im Rheinland sehr schön ist.
Fährt man von Willich/Kaarst aus nach Meerbusch-Büderich auf der Landstraße auf einem schönen Radweg, wird man am Ortseingang von einem fröhlichen Schild des Rhein-Kreises Neuss als fahrradfreundlicher Kreis begrüßt. Nach weiteren ca. 200 Metern wird Dir per Schild mitgeteilt, dass der Radweg hier endet. Man muss sich dann auf einer sehr kurvenreichen und stark befahrenen Straße knapp einen Kilometer in den Ortskern von Büderich durchkämpfen. Man gönnt sich da zunächst die Frage, welcher Spaßvogel sich so etwas ausdenkt?
Zwischen Meerbusch-Büderich und Meerbusch-Osterath gibt es einen Bestattungswald, in dem auch meine Mutter Ende letzten Jahres ihre letzte Ruhestätte gefunden hat. Von uns aus in Willich ist es bis dorthin auch sehr gut anhand des Knotenpunktsystems ausgeschildert. Bei dem Bestattungswald handelt es sich um eine recht großes Waldgebiet, was für uns unter anderem auch eine sehr schöne Ruhe ausstrahlt. Leider existiert hier überhaupt keine Beschilderung, wie man durch diesen Wald beispielsweise über Kaarst nach Willich zurückkommt. Das Knotenpunktsystems leitet Dich hier um dieses Waldgebiet bis nach Neuss, dort durch Gewerbe- und Wohngebiete auf die Hauptstraße von Neuss nach Kaarst. Immerhin wird man ab dort durch Wald und hauptsächlich Feld nach Willich geleitet. Ab dort ein insgesamt schöner Weg. Das Stück vom Bestattungswald über Neuss und Kaarst hat jedoch keinerlei Erholungswert. .
Am gestrigen Tag haben wir erneut eine Radtour von Willich aus bis Meerbusch-Lank, mit einem Abstecher über den Rhein nach Kaiserswerth unternommen. Wären wir nach den Knotenpunkten gefahren, wäre der Hinweg gleich der Rückweg gewesen – mäßig spannend. Also haben wir das Knotenpunktsystems verlassen und sind auf eigene Faust über Meerbusch-Strümp und Meerbusch-Osterath nach Hause gefahren. Insgesamt eine sehr schöne Strecke bei der man sich fragt, warum diese nicht ausgeschildert ist? Ist das wirklich zu viel verlangt oder haben die örtlichen Behörden kein Interesse daran?
Auch der Kreis Viersen rühmt sich, viel für den radfahrenden Teil der Bevölkerung zu tun. In einer Broschüre über Radtouren im Kreis Viersen haben wir eine Tour rund um Kempen, St.Hubert, Grefrath und wieder zurück nach Kempen entdeckt. Auch hier gibt es ein Knotenpunktsystem, an dem man sich orientieren kann. Gleich zu Beginn in Kempen geriet die Suche nach dem passenden Radweg zu einer kleinen Schnitzeljagd. Teilweise sind die Hinweisschilder dermaßen versteckt, dass man sie kaum wahrnimmt. Richtung St.Hubert ist die Ausschilderung sehr verwirrend, im Ort selbst steht gar kein Hinweisschild mehr. Also fahren wir weiter geradeaus. Ein Blick in die Knotenpunkt-App verriet, dass wir mindestens 500 Meter vom ursprünglichen Weg abgekommen sind. Nach einer kleinen Irrfahrt durch St.Hubert gelang es uns, die Route wiederzufinden. Danach ging es über Felder, über Felder und über Felder. Bis Tönisberg, wo eine alte Mühle steht. Nur eine alte Mühle, sonst nix. Weiter ging es über Felder Richtung Grefrath. Hatte ich erwähnt, dass es über Felder ging? Natürlich kaum über Radwege, sondern lediglich über Wirtschaftswege. Nach knapp 20 Kilometern auf dem Drahtesel stellen sich mitunter ein wenig Durst und Hunger ein. Doch weit und breit nur Felder, ich erwähnte es, glaube ich, bereits. Kein Restaurant, kein Kiosk, keine Tanke, kein Laden. Nada, nix, niente … Es war uns, ehrlich gesagt, zu dumm, die Tour weiter zu fahren. Wir sind zurück nach Kempen gefahren, da es Montag war, hatte die Hälfte der Restaurants geschlossen. Wir hatten wenigstens noch eine Kneipe gefunden, in der es Bitburger Pils und einen anständigen Aperol Spritz gab. Alles in allem sehr ernüchternd, was die Hochglanzbroschüre des Kreises Viersen uns da vorschlug, insbesondere, da es eine sehr schöne Tour von Willich nach Kempen gibt, die im Knotenpunktsystem verzeichnet ist und die wir gerne fahren, da diese abwechslungsreich ist.
Jetzt sagen einige, Radfahren ist ja nicht nur zum Spaß da, wie sieht es denn aus, wenn man vom ruralen Willich in die Urbanität nach Krefeld gelangen will oder muss, womöglich gar zur Arbeit? Wir haben es nicht unversucht gelassen und sind zunächst einmal mit dem Rad zu Freunden gefahren, die in der Nähe des Eisstadions in Krefeld wohnen. Unmöglich ist es nicht, die Qualität der Radwege ist mäßig und bisweilen muss man sich darauf konzentrieren, dass man von den links parkenden Autos nicht einen schönen Gruß von der Tür in den Fahrweg gelegt bekommt. Die Stecke, die wir uns zu unseren Freunden ausgesucht hatten, beträgt knapp 8 Kilometer, das Navi rechnete uns 26 Minuten vor. Da wir recht zügig unterwegs sind, rechnen wir mal mit 22 Minuten. Die Strecke ist jedoch nicht das Problem, was ich dann auf der nächtlichen Rückfahrt gegen 00:30 Uhr mal genauer unter die Lupe nahm. Auf besagten 8 Kilometern gibt es sage und schreibe 11 (in Worten: elf) Ampeln! An mehr als der Hälfte der Ampeln hat der Radverkehr grundsätzlich rot und man muss für ein Grün-Signal einen Knopf drücken. Selbst mit unserer zügigen Fahrweise haben wir weder die Hin- noch die Rückfahrt in der angegebenen Zeit geschafft. Selbst um 00:30 Uhr benötigten wir knapp 36 Minuten. Zahlenaffine Leser werden festgestellt haben, dass hier eine Diskrepanz von 10 Minuten das Ergebnis sind. Zehn (!) Minuten auf 8 Kilometer – das nenne ich mal ein „Brett“. Fährt man im Gegensatz dazu durch eine niederländische Stadt wie Venlo, ereilt einen dort ein wahrer Geschwindigeitsrausch! Vom Stadtteil Blerick im Westen bis zur Groote Heide im Westen der Stadt maximal 2 (in Worten: zwei) Ampeln. Die Niederländer sind bisweilen gar so dreist und verbauen in den Radwegen Kontaktschleifen, die beim Überfahren den Autoverkehr anhalten. Hier zu Lande käme das einer ausgewachsenen Radfahrer-Diktatur gleich, die sich womöglich nur die Grünen ausdenken können.
Ich bin niemand, der gerne auf sein Auto verzichten möchte. Dennoch halte ich es für vernünftig und geboten, des Öfteren auf das Fahrrad umzusteigen, sei es für alltägliche Fahrten oder nur „aus Spaß aan de Freud“, wie der Rheinländer sagt. Letzteres gelingt meiner Ansicht nach größtenteils nur in den nahen Niederlanden, da man hier völlig ablenkungsfrei vom Autoverkehr fahren kann. Hierzulande enden Radwege oft abrupt, sind in schlechtem Zustand und schlecht ausgeschildert. Vorgeschoben wird dann immer der Mangel an finanziellen Mitteln. Da nutzt es auch nix, Elektro-Autos zu pushen, nur um die CO2-Ziele zu erreichen. Auto ist Auto, egal ob mit Benzin, mit Batterie, mit Wasserstoff oder Warp-Antrieb. So lange man an Konzepten festhält, in denen ich mit dem Auto bis in ein Klassenzimmer oder in die nächste Bäckerei fahren kann, braucht man über „Mobilitätswende“ erst gar nicht zu reden.
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